Schul- und Hochschulmathematik

Eine typische Szene aus dem Wintersemester: Erwartungsvolle Studienanfänger und -anfängerinnen sitzen in den ersten Mathevorlesungen und an den ersten Übungsblättern. Aber irgendwie hakt und klemmt es, die Anforderungen sind ungewohnt, die Aufgaben schwierig, neue Inhalte kommen zu schnell, Überforderung und Frust stellen sich ein und schon nach der Weihnachtspause ist deutlich mehr Platz im Hörsaal. Nach der ersten Klausur ist dann oft weniger als die Hälfte der Studierenden übrig und die ehemals gewohnten 13 bis 15 Punkte aus den Mathearbeiten sind vielleicht durch ein gerade noch bestanden oder sogar eine 5.0 ersetzt worden.

Wie kann es eigentlich sein, dass selbst sehr gute schulische Leistungen in Mathematik kein Erfolgsgarant in diesem Fach an der Uni sind? Wieso helfen die erlernten Techniken aus der Schule so wenig an der Uni? Es sieht fast so aus, als hätten Mathematik an Schule und Uni neben der Fachbezeichnung nicht viele Gemeinsamkeiten, aber worin besteht denn genau der Unterschied?

Antworten auf diese Fragen zu finden, war ein wichtiger Ausgangspunkt für das Projekt $\mmath$.

Da die Betreuung von Anfängerjahrgängen immer wieder zeigt, dass das strenge Einhalten der mathematischen Spielregeln eine entscheidende Startschwierigkeit darstellt, entstand die Idee, diese traditionell eher implizit vermittelten Regeln deutlicher herauszuarbeiten. Ein für Anfänger verständliches Regelheft, das die Realität des mathematischen Arbeitens im Studium so nahe wie möglich widerspiegelt, aber trotzdem das Grundgerüst des rationalen, logischen Argumentierens vollständig beschreibt - das wäre toll!

Um sicherzustellen, dass die Regeln unmissverständlich formuliert sind und korrekt ineinandergreifen, bot es sich an, sie in einem Programm zu implementieren - ein Programm, das im übertragenen Sinne in den Köpfen der Studierenden laufen soll, um mathematische Texte regelkonform interpretieren und überprüfen zu können.

Das Programm wäre gleichzeitig auch der vorführbare Beleg, dass Mathematik einen stur erlenbaren und sogar maschinell durchführbaren Anteil hat, in dem die Kreativität und Ästhetik beim Erschaffen mathematischer Begriffe und beim Finden und Begründen von Zusammenhängen zwischen ihnen überhaupt erst stattfinden kann.

Außerdem stellen sich sofort spannende didaktische Fragen: Wenn die Kenntnis und das Befolgen der mathematischen Spielregeln so wichtig sind, wie verankert man diese Kompetenzen am besten in einem menschlichen Kopf? Welche Aufgaben und Projekte sind dafür am besten geeignet? Wird in der aktuellen Ausbildung an Schule und Uni zu viel Gewicht auf Inhalte und zu wenig auf das korrekte Umgehen mit den Inhalten gelegt?

Die jährlich wiederkehrenden Schwierigkeiten legen jedenfalls nahe, dass die Schule die benötigten Regel-Kompetenzen nicht in dem Maße aufbaut, wie sie an der Universität stillschweigend vorausgesetzt werden. Dass viele Diskussionen über die Schnittstelle zwischen Schule und Universität in einer Liste von benötigten und leider weggefallenen mathematischen Themen enden, zeigt dabei nur, dass die Fokussierung auf Inhalte den Blick auf weitere entscheidende Kompetenzen und die Frage, was Mathematik eigentlich ausmacht, verstellt.