In einem über 2500 Jahre alten ägyptischen Mathematikbuch, dem Papyrus Rhind, ist ein Mathematikrätsel aufgeführt, das übersetzt ungefähr so lautet:
Es gibt sieben Häuser, in jedem Haus wohnen sieben Katzen. Jede Katze fängt sieben Mäuse, von denen jede sieben Kornähren gefressen hat. In jeder Ähre sind sieben Samen.
Da die eigentliche Frage fehlt, ergänzen wir
Wieviele Dinge kommen insgesamt in dieser Geschichte vor?
und betrachten dieses zugegebenermaßen künstliche Szenario als eine mathematische Modellierungsaufgabe. Unsere Vorgehensweise gliedert sich dabei nach folgendem Schema:
- Einführung von Namen für die mathematischen Objekte, die die Rolle relevanter Gegenstände der Geschichte übernehmen.
- Beschreiben von Beziehungen dieser Objekte untereinander und zu anderen Objekten aus dem mathematischen Rahmen, in dem das Modell formuliert wird.
- Nachweis einer Aussage duch mathematische Argumentationen, die als Antwort auf die Frage dienen kann.
In der praktischen Durchführung ist es allerdings wichtig, bei jedem Punkt schon ein wenig die folgenden Punkte im Auge zu haben, um die Abstraktion auf die Fragestellung abzustimmen. Tatsächlich findet man relevante Objekte sehr gut dadurch, dass man sich überlegt, in welcher Form die Antwort am Ende angegeben werden soll. Im vorliegenden Fall wäre dies z.B. $D=\ldots$, wobei $D$ für die Anzahl aller beteiligten Dinge steht. Damit haben wir ein wichtiges Objekt bereits isoliert, das sich gemäß der Geschichte zusammensetzt aus Häuseranzahl, Katzenanzahl, Mäuseanzahl, Ährenanzahl und Samenanzahl. Motiviert durch die Anfangsbuchstaben wählen wir hier die Namen $H,K,M,A$ und $S$.
Als nächstes sammeln wir Informationen über die bisher noch vollkommen abstrakten Modellobjekte in Form von mathematischen Aussagen. Zunächst halten wir fest, dass jedes der Objekte für eine ganze Zahl steht, was auf die Aussagen $\newcommand{\Z}{{\mathbb Z}}H\in\Z, K\in\Z, M\in\Z, A\in\Z$ und $S\in\Z$ führt. Damit diese Aussagen formulierbar sind, muss ein Objekt mit Namen $\Z$ (als Abkürzung für die Menge der ganzen Zahlen) sowie eine Relation mit dem Zeichen $\in$ bereits vorhanden sein. Unser Modell muss daher einem entsprechenden mathematischen Rahmen untergeordnet werden.
Weitere Informationen, die aus der Geschichte entnommen werden können sind $H=7$ (es gibt sieben Häuser), $K=7\cdot H$ (in jedem Haus wohnen 7 Katzen) und entsprechend $M=7\cdot K$, $A=7\cdot M$, $S=7\cdot A$. Schließlich lesen wir an der Frage noch $D=H+K+M+A+S$ ab.
Wegen der Übersichtlichkeit der bereits abstrahierten Rätselsituation spüren wir, dass diese Bedingungen zur Lösung eigentlich ausreichen sollten, so dass wir uns dem dritten Punkt zuwenden können. Dazu begeben wir uns gedanklich in eine Situation, wo die im Modell gesammelten Objekte vorliegen und die gesammelten Aussagen wahr sind.
Da $H=7$ eine geltende Gleichheitsaussage ist, können wir mit einer zugehörigen Regel in der geltenden Aussage $K= 7\cdot H$ das Objekt $H$ durch $7$ ersetzen und erhalten damit die nun ebenfalls geltende Aussage $K=7\cdot 7$. Mit dieser Gleichheit erhalten wir durch Ersetzung in $M=7\cdot K$ genauso $M=7\cdot(7\cdot 7)$ und in Folge auch $A=7\cdot(7\cdot(7\cdot 7))$ und $S=7\cdot(7\cdot(7\cdot(7\cdot 7)))$. Mit der üblichen Potenzschreibweise als Abkürzung für die Klammerausdrücke erhalten wir also $H=7, K=7^2, M=7^3, A=7^4$ und $S=7^5$, womit wir in der Gleichung für $D$ jeweils ersetzen können. Dies liefert
$D=7+7^2+7^3+7^4+7^5$
Als Antwort ist uns dies aber noch nicht gut genug, da wir eine reine Dezimalzahldarstellung anstreben, um die Größenordnung des Ergebnisses besser erfassen zu können. Anstatt nun sofort den Taschenrechner zu zücken, greifen wir lieber erst noch in die mathematische Trickkiste und überlegen uns, wie man das Ergebnis mit wenig Tippaufwand bestimmen kann.
Da die Geschichte auch ohne Probleme ausgedehnt werden könnte (z.B. wenn es 7 Bezirke gibt mit jeweils 7 Orten, die jeweils 7 Häuser umfassen, in denen jeweils 7 Katzen wohnen, ...) so stellt sich die allgemeinere Frage, wie man lange Summen von immer höheren Potenzen geschickt berechnen kann. Ein Trick besteht darin, $D$ einfach nochmal mit $7$ zu multiplizieren und dann die Potenzgesetze auszunutzen. Wir erhalten
$\phantom{7\cdot} D=7^1+7^2+7^3+7^4+7^5$
$7\cdot D=\phantom{7^1+}7^2+7^3+7^4+7^5+7^6$
Ziehen wir von der unteren Zeile die obere ab, so ergibt sich durch Anwendung der üblichen Rechengesetze auf der linken Seite $7\cdot D -D=6\cdot D$, während rechts alle Potenzen außer der kleinsten und der größten verschwinden. Wir finden
$6\cdot D=7^6 -7^1$
und nach Auflösung
$D=\displaystyle\frac{7^6-7}{6}=19607$
Zurückübersetzt in die Ausgangssituation bedeutet unser Ergebnis, dass in der Geschichte insgesamt $19607$ Dinge vorkommen, wobei der größte Anteil durch die $7^5=16807$ Samenkörner entsteht.
Auch wenn dieses Rätsel nur ein einfaches Trainingsobjekt darstellt, so kann man doch alle entscheidenden Schritte der mathematischen Problembearbeitung erkennen: (1) Benennen von Objekten, (2) Herausarbeiten von Zusammenhängen zwischen den Objekten und (3) Mathematische Argumentation in diesem Rahmen zur Ableitung von Antworten.