Werkzeug Mathematik

Was unterscheidet den Mensch von anderen Tieren auf unserem Planeten? Der Mensch umgibt sich mit Baumärkten, Drogerien, Möbelhäusern und Kurzwarenabteilungen! Etwas abstrakter formuliert: Menschen erfinden und benutzen Werkzeuge und die Warenhäuser sind voll davon, angefangen bei Nähnadeln über Schränke und Zahnpasta bis hin zum Rasenmäher. Werkzeuge erlauben uns im Kleinen einzelne Zellen zu manipulieren oder im Großen das Sonnensystems zu erforschen.

Dabei kann man Werkzeuge als Materialisierung von Regeln verstehen. So setzen Stemmeisen oder Türgriffe zum Beispiel die Regeln der Hebelwirkung um und zeigen indirekt, wie wir Menschen ticken: Durch Beobachtung stellen wir Regelmäßigkeiten zunächst in Form von wenn-dann-Beziehungen fest, wir isolieren und reproduzieren die Effekte durch Experimente und konservieren sie schließlich als Geräte oder Werkzeuge, die in speziellen Situationen die gefundenen Regelmäßigkeiten zur Wirkung kommen lassen.

Die Grundlage all diesen Handelns ist die Fähigkeit, mit Regeln umgehen zu können, d.h. sie zu erkennen, anzuwenden und zielgerichtet zu kombinieren, also das, was man mit den Begriffen Rationalität oder Verstand zusammenfasst.

In diesem Zusammenhang kann man die Mathematik als eine besonders herausdestillierte Form der menschlichen Rationalität betrachten, weil sich mit ihr Regelmäßigkeiten präzise formulieren und zu neuen Regeln kombinieren lassen. Mathematik als Wissenschaft des Geregelten ist somit eine abstrakte Variante des Werkzeugbaus und der Werkzeugnutzung und wird damit selbst zu einem wichtigen und machtvollen Werkzeug des Menschen.

Wenn es das Ziel von Bildung ist, die im Menschen angelegten Fähigkeiten zur Bewegung, Kommunikation, Empathie, Emotion und Rationalität herauszuarbeiten und zu trainieren, dann stellt sich nicht die Frage, ob Mathematik hier eine wichtige Rolle spielt. Ob aber unsere aktuelle Ausgestaltung der Mathematikausbildung tatsächlich darauf ausgerichtet ist, den Umgang mit Rationalität an sich zu trainieren, sollte immer neu hinterfragt werden.

Klar ist, dass Mathematik nicht ohne mathematische Inhalte vermittelt werden kann. Die Inhalte sollen andererseits nicht so stark in den Vordergrund treten, dass sie zum primären Ausbildungs- und Prüfungsgegenstand werden. Es sollte um das Beherrschen der Rationalität und nicht um die Beherrschung der Bruchrechnung gehen: Wer rational vorgehen kann, findet die Bruchrechenregeln alleine und immer wieder neu, falls er sie vergisst. Wer rationales systematisches Vorgehen weniger trainiert hat, tut sich schwerer und klammert sich an fertige Formeln und Rezepte, die im Kopf schnell man durcheinandergeraten. Wenn dann am Ende aus Differenzen und Summen gekürzt wird, ist also nicht so klar, ob der Schüler oder das Ausbildungssystem der Dumme ist.