Äußerlich betrachtet ist jeder mathematische Text genau wie dieser Text nur eine Aneinanderreihung von Schriftzeichen eines Alphabets. Die Reihenfolge der Zeichen wird dabei nach bestimmten Konventionen räumlich hergestellt (z.B. von links nach rechts und von oben nach unten).
Der große Vorteil der Reihung besteht darin, dass bereits aus einem sehr kleinen Alphabet sehr viele unterschiedliche Zeichenketten erzeugt werden können (man denke an das Morse- Alphabet, das binäre 0/1 Alphabet in der Computertechnik, oder das Alphabet aus Basenpaaren in der Biologie).
Durch Benutzung spezieller Trennzeichen lässt sich eine Zeichenkette hierarchisch in Teilketten untergliedern, die wir in üblichen Texten Kapitel, Abschnitt, Satz oder Wort nennen. Dabei sind Wörter Symbole für sprachliche Laute, die wiederum auf Dinge, Eigenschaften oder Prozesse verweisen. Die räumliche Sequenz der Schriftzeichen symbolisiert dadurch die zeitliche Reihenfolge der Sprachlaute.
Wenn man nun noch bedenkt, dass zur Erzeugung der Sprachlaute bestimmte Bewegungen im Stimmapparat notwendig sind, die auf zeitlichen Sequenzen von Muskelkontraktionen beruhen, die wiederum auf Sequenzen von elektrischen Impulsen im Nervensystem zurückgehen, dann ist die zentrale Bedeutung von Reihenfolge allein für die äußere Form des Mathematikmachens endgültig offensichtlich.
Dazu kommt noch die interne Bedeutung der Reihenfolge: Jede Regel beruht auf der Reihenfolge von Voraussetzung und Folgerung, jede Argumentation besteht aus zulässigen Sequenzen von Beweisschritten und die Argumente einer Zuordnung sind im allgemeinen Listen von mathematischen Objekte.
Im Projekt $\mmath$ werden zur Darstellung einer Liste die Objektdarstellungen durch Kommas getrennt, d.h. für zwei verschiedene Objekte $A$ und $B$ sind
- $A,B,B,A$
- $B,A,B,A$
- $B,A,A,B$
jeweils unterschiedliche Listen. Offensichtlich lassen sich über Listen auch die natürlichen Zahlen erschaffen, indem man das Konzept der Strichliste übernimmt: Ausgehend von einem gegebenen Objekt $1$ bilden wir
- $1,1$
- $1,1,1$
- $1,1,1,1$
- $1,1,1,1,1$
und kreieren so neue Objekte, die wir mit 2,3,4,5 bezeichnen. Die Addition dieser Zahlen ist übrigens extrem einfach: Man muss nur die zugehörigen Strichlisten verbinden - eine Grundoperation auf Listenobjekten. Mit den natürlichen Zahlen wird (bei Vernachlässigung von Ressourcenbegrenzung) auch gleichzeitig das Konzept der Unendlichkeit erschaffen, da die Konstruktion immer längerer Zeichenketten denkbar ist.
Gleichzeitig erlauben Listen die Erschaffung komplexer Schachtelungen, da Listen von Objekten selbst wieder als Objekte betrachtet werden können. Genau mit diesem Prinzip werden in der Mathematik komplizierte Strukturen aus einfachen Strukturen hergestellt: Ein normierter Vektorraum wird durch eine Liste $(V,N)$, bestehend aus einem Vektorraum $V$ und einer Normfunktion $N$, beschrieben. Der Vektorraum ist dabei eine Abkürzung für $(X,A,S,K)$, wobei $X$ eine Menge, $A$ und $S$ zwei Funktionen und $K$ einen Körper repräsentiert. Der Körper ist erneut eine Struktur $(Y,p,m)$ bestehend aus einer Menge $Y$ und zwei Funktionen $p,m$. Ausgeschrieben ist der normierte Vektorraum damit durch
$((X,A,S,(Y,p,m)),N)$
gegeben, also durch eine 2er Liste, die eine 4er Liste umfasst, deren letzter Eintrag eine 3er Liste ist.
Insgesamt ist Reihenfolge damit sowohl für den äußeren Rahmen als auch für die Inhalte der Mathematik eine entscheidende Zutat.