In der Mathematik arbeitet man mit zwei Sorten von Regeln: Solche über die Mathematik (Metaregeln) und solche über die mathematischen Objekte (Sätze). Im Projekt $\mmath$ werden Metaregeln programmiert, um den Rahmen für kontrolliertes mathematisches Arbeiten am Rechner zu schaffen. Der Nutzer kann dann Sätze über mathematische Objekte mit dem Programm formulieren und beweisen. Dabei ist er den Metaregeln unterworfen, während die mathematischen Objekte seinen Sätzen unterworfen sind.
Betreibt man Mathematik mit Papier und Bleistift, so muss man selbst für die Einhaltung der Metaregeln sorgen, was ein ständiges Kontrollieren der eigenen Argumentationsschritte verlangt. Eine zentrale Aufgabe für Mathematiknovizen ist daher das Kennen- und Befolgenlernen der mathematischen Metaregeln, um dann in diesem Rahmen wiederum viele Regeln in Form von Sätzen kennenzulernen und neu zu entdecken.
Regeln spielen also eine sehr wichtige Rolle in der Mathematik, aber wie sind eigentlich Regeln geregelt?
Denken wir dazu erst einmal an Regeln in unserem Alltag, die etwa in Form von Sprachregeln, Verkehrsregeln, Vertragsregeln, Gesetzen und Höflichkeitsregeln auftreten, deren Einhaltung wie bei den Mathematikregeln in den Köpfen von Menschen überwacht wird. Regeln, die ohne unser Zutun kontrolliert werden, sind die Naturgesetze und darauf beruhende materialisierte Regeln in Maschinen, Geräten oder Programmen.
Sofern die Regeln überwacht werden ist das Grundprinzip aber immer gleich: Beim Eintreten einer bestimmten Situation entsteht eine zugehörige Folgesituation. Diese als Voraussetzung und Folgerung bezeichneten Situationen müssen beim Aufstellen einer Regel möglichst präzise beschrieben werden.
Als Beispiel betrachten wir eine Regel aus dem Bußgeldkatalog für Geschwindigkeitsüberschreitungen: Wenn ein Fahrzeugführer die Geschwindikeitsbegrenzung innerhalb einer geschlossenen Ortschaft um einen Wert von 31 bis 40 km/h unerlaubt überschreitet, dann wird er mit einem Bußgeld von 160€ und 2 Punkten in Flensburg bestraft.
Wird diese Regel überwacht, und trifft die beschriebene Voraussetzung beim Ersetzen der offen gelassenen Regelkomponenten
- ein Fahrzeugführer
- die Geschwindigkeitsbegrenzung
- eine geschlossene Ortschaft
durch Herr Franz Raser, 30 km/h und Schnellingen zu, dann tritt auch die Folgerung mit den entsprechenden Ersetzungen ein, d.h. Herr Franz Raser wird mit einem Bußgeld von 160€ belegt und erhält zwei Punkte.
Um die Ersetzungsstellen in einer Regel besser zu kennzeichnen, kann man sogenannte Platzhalter benutzen. In unserem Beispiel würde das so aussehen: Wenn ein Fahrzeugführer $X$ die Geschwindikeitsbegrenzung $B$ innerhalb einer geschlossenen Ortschaft $S$ um einen Wert von 31 bis 40 km/h unerlaubt überschreitet, dann wird $X$ mit einem Bußgeld von 160€ und 2 Punkten in Flensburg bestraft.
Insgesamt zeigt dieses spezielle Beispiel alle wesentlichen Aspekte, die im Zuammenhang mit Regeln von Bedeutung sind. Typisch ist, dass die Voraussetzung so allgemein formuliert ist, dass sie durch mehrere denkbare Situationen erfüllt werden kann. Praktisch erreicht man dies durch Platzhalter, die zwar einigen Bedingungen unterworfen, aber dadurch noch nicht eindeutig festgelegt sind, sodass noch mehrere Konkretisierungen möglich sind. Dadurch ensteht letztlich das Anwendungsspektrum der Regel.
Wie im Beispiel beschrieben, besteht die Anwendung der Regel darin, die Platzhalter sowohl in der Beschreibung der Voraussetzung als auch der Folgerung konsequent durch Konkretisierungen zu ersetzen. Sind die enstehenden konkreteren Voraussetzungen erfüllt, dann sind auch die ersetzten Folgerungen gültig.
Stellt man sich diesen Ersetzungsprozess wiederholt durchgeführt vor, dann erkennt man, dass die Platzhalter für alle Konkretisierungen stehen können, die zur Voraussetzungen passen. In einer stärker formalisierten Form, können wir die Regel deshalb auch so schreiben:
Für alle $X,B,S$ mit $X$ ist ein Fahrzeugführer; $S$ ist eine geschlossene Ortschaft; $B$ ist eine Geschwindikeitsbegrenzung innerhalb $S$; $X$ überschreitet $B$ unerlaubt um einen Wert von 31 bis 40 km/h gilt $X$ wird mit einem Bußgeld von 160€ und 2 Punkten in Flensburg bestraft.
Die Angabe der verwendeten Platzhalternamen (zwischen Für alle und mit) ist besonders für mathematische Regeln wichtig, weil in der Mathematik viele Dinge mit Einzelbuchstaben bezeichnet werden und damit eine Verwechslungsgefahr zwischen Platzhalter- und Objektnamen besteht. Die Forderungen der Voraussetzung sowie die Folgerung stehen hier zwischen den Schlüsselwörtern mit und gilt bzw. hinter gilt.
Kürzen wir nun noch die Worte Für alle durch das sogenannte Allquantorsymbol $\forall$ ab, dann ergibt sich genau die Standardschreibweise von Sätzen im $\mmath$-Projekt. Am Beispiel der Satzaussage, dass bei Addition von natürlichen Zahlen die Reihenfolge der Summanden keine Rolle spielt, sieht das so aus
$\forall x,y$ mit $x\in{\mathbb N};y\in{\mathbb N}$ gilt $x+y=y+x$
Die Voraussetzung $x,y$ mit $x\in{\mathbb N};y\in{\mathbb N}$ dieses Satzes ist dabei eine Bedingung im Sinne von $\mmath$, wie wir sie schon im Zusammenhang mit Begriffen kennengelernt haben.